Bezieher*innen von Arbeitslosengeld II dürfen nicht unter das lebensnotwendige Existenzminimum fallen, wenn sie eine Einkommensteuererstattung zum Ausgleich eines überzogenen Girokontos verwenden. (Leitsatz der Redaktion)
Sachverhalt: Der Schuldner bezieht Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Auf sein mit mehr als 2.700 Euro überzogenes Girokonto wird eine Einkommenssteuererstattung in Höhe von rund 2.382 Euro überwiesen. Bei der anschließenden Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wurde die Steuererstattung für sechs Monate in Höhe von 367,15 Euro monatlich (397,15 Euro abzüglich 30 Euro Versicherungspauschale) bedarfsmindernd berücksichtigt (vgl. § 11 Abs. 3 Satz 4 SGB II).
Urteilsgründe: Das BSG hält diese Praxis des Jobcenters für rechtswidrig, weil durch die Anrechnung der Steuererstattung die gewährten Leistungen nicht mehr bedarfsdeckend seien. Soweit die einmalige Einnahme zur Tilgung von Schulden „verbraucht“ worden sei, stehe das Geld nicht mehr als „bereite Mittel“ zur Verfügung. Denn nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen könne eine einmalige Einnahme nicht als Einkommen berücksichtigt werden, soweit sie bereits zu anderen Zwecken als zur Bestreitung einer aktuellen Notlage verwendet wurde und daher nicht mehr geeignet ist, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken (Rn. 28). Das sei der Fall, wenn eine einmalige Einnahme auf ein überzogenes Konto eingehe. Aus der Kontokorrentabrede folge regelmäßig das Recht der Bank, bei einem debitorischen Girokonto – wie vorliegend bei Eingang der Einkommenssteuererstattung – den Sollsaldo zu verringern (Rn. 29). Es bestehe keine Obliegenheit, sich durch eine erneute Inanspruchnahme des Dispositionskredits oder durch ein sonstiges Darlehen bereite Mittel für den Lebensunterhalt zu verschaffen (Rn. 30ff.). Zwar laufe ein „abweichendes Ausgabeverhalten“ (hier den Einsatz der gesamten Einnahmen zur Schuldentilgung) „dem Grundsatz der Eigenverantwortung vor Inanspruchnahme der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zuwider“ (Rn.31). Konsequenzen für den Anspruch der Berechtigten auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts habe dies nach neuer Rechtslage aber nur nach Maßgabe des § 24 Abs. 4 Satz 2 SGB II. Danach könnten existenzsichernde Leistungen als rückzahlbares Darlehen erbracht werden, soweit Leistungsberechtigte einmalige, grundsätzlich anrechenbare Einnahmen vorzeitig verbraucht haben. „Durch die veränderte Form der Leistungserbringung (Darlehen statt Zuschuss) kann unter anderem einer Schuldentilgung mit den gleichwohl vom Jobcenter zu erbringenden existenzsichernden Mitteln entgegengetreten werden“ (Rn. 31).
Anmerkung: Die Entscheidung erging zur alten Rechtslage, die vom BSG zitierten Grundsätze der „bereiten Mittel“ gelten aber nach wie vor. Die Regelung des § 24 Abs. 4 Satz 2 SGB II gibt es erst seit Januar 2017. Eine darlehensweise Leistungsgewährung sah das Gesetz zuvor nicht vor. Nach heutiger Rechtslage müssten die Grundsicherungsleistungen also im Ergebnis zwar ebenfalls ungekürzt gewährt werden. Sie müssten aber nicht als Zuschuss, sondern sie dürften als Darlehen erbracht werden.
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