Ist dem Schuldner wegen einer psychischen Erkrankung die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar, kann auch dies – neben einer körperlichen Behinderung – nach § 811 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c ZPO zur Unpfändbarkeit eines Pkw des Schuldners „aus gesundheitlichen Gründen“ führen. (Leitsatz der Redaktion nach Rn. 27 der Entscheidung)

Sachverhalt: Der unter Betreuung stehende Schuldner leidet an einer psychischen Erkrankung. Die Gerichtsvollzieherin pfändet im Juni 2021 den Pkw des Schuldners. Der Schuldner wendet mit seiner Erinnerung hiergegen ein, den Pkw habe er überwiegend mit Mitteln erworben, die er aus dem Fonds „Heimerziehung in der DDR“ bekommen habe. Da die Ansprüche aus dem Fonds unpfändbar seien, müsse auch der Pkw pfändungsgeschützt sein. Die Unpfändbarkeit des Pkw folge außerdem daraus, dass er darauf angewiesen sei, mit dem Auto von seiner Wohnung zu seiner Therapeutin fahren zu können. Aufgrund seiner Erkrankung könne er keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, da er sich dann von anderen Menschen bedroht fühle und ohne Anlass aggressiv reagiere.

Entscheidungsgründes des BGH: Der Pkw ist laut BGH zwar nicht nach § 851 ZPO geschützt. Eine etwaige Unpfändbarkeit des Anspruchs gegen den Fonds „Heimerziehung in der DDR“ würde sich „jedenfalls nicht an dem Pkw fortsetzen“ (Rn. 17). Dem stünde auch nicht die Entscheidung des BGH vom 22.05.2014 (IX ZB 72/12) entgegen, wonach eine Entschädigungszahlung für Opfer sexueller Gewalt unpfändbar sei. Die Fälle seien nicht vergleichbar (Rn. 18).

Der Pkw kann nach Ansicht des BGH allerdings nach der Vorschrift des § 811 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c ZPO geschützt sein. Diese seit dem 1. Januar 2022 geltende Vorschrift ersetze den bisherigen § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO a.F. „unter Erweiterung seines Anwendungsbereichs“ (Rn. 20).

Mit der Neufassung der Pfändungsschutzvorschrift sollen auch Sachen geschützt sein, die der Schuldner aufgrund einer psychischen Erkrankung benötigt; die in der Vorgängervorschrift enthalten gewesene Beschränkung auf körperliche Einschränkungen sei entfallen (Rn. 24). Die Vorschrift sei aber nach wie vor einschränkend auszulegen. Der unpfändbare Gegenstand muss „selbst bereits das Hilfs- oder Therapiemittel bezüglich der gesundheitlichen Beeinträchtigung“ sein. „Die Unpfändbarkeit des Pkw kann sich daraus ergeben, dass ihn der Schuldner benötigt, um damit die aus seiner psychischen Erkrankung herrührenden Nachteile teilweise zu kompensieren und seine Eingliederung in das öffentliche Leben wesentlich zu erleichtern“ (Rn. 26). So ist der Pkw eines gehbehinderten Schuldners nach der bereits zu § 811 Abs. 1 Nr. 12 ZPO alte Fassung ergangenen Rechtsprechung des BGH nicht pfändbar, „wenn die Benutzung des Pkw erforderlich ist, um die Gehbehinderung teilweise zu kompensieren und die Eingliederung des Schuldners in das öffentliche Leben wesentlich zu erleichtern“ (Rn. 27). Die Pfändung eines Fahrzeugs ist verboten, wenn sie dazu führt, dass „der Schuldner in seiner Lebensführung stark eingeschränkt und im Vergleich zu einem nicht behinderten Menschen entscheidend benachteiligt wird“ (Rn. 27). Diese Grundsätze seien bei psychischen Erkrankungen entsprechend anzuwenden: „Ist dem Schuldner wegen einer psychischen Erkrankung die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar, kann auch dies zur Unpfändbarkeit eines Pkw des Schuldners (…) führen, wenn die Benutzung des Pkw erforderlich ist, um die Erkrankung teilweise zu kompensieren und die Eingliederung des Schuldners in das öffentliche Leben, wozu auch das etwa nötige Aufsuchen von Ärzten gehört, wesentlich zu erleichtern.“ (Rn. 27).
BGH, Beschluss vom 10.08.2022 – VII ZB 5/22

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