Ein Erstattungsanspruch nach Aufhebung eines Leistungsbescheids verjährt nur dann erst nach 30 Jahren, wenn ein weiterer Verwaltungsakt zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs während einer bereits laufenden Verjährung dieses Anspruchs unanfechtbar wird (sog. Durchsetzungsverwaltungsakt.
Weder die Niederschrift über die fruchtlose Pfändung noch die fruchtlose Pfändung als solche stellen einen Durchsetzungsverwaltungsakt im Sinne des § 52 Abs. 1 SGB X dar.
(Leitsätze der Redaktion nach Rn. 54 ff. der Entscheidung)

Zum Problem:
Forderungen von Sozialleistungsträgern machen nicht selten einen erheblichen Teil der Schulden aus. Häufig wird gegen die entsprechenden Bescheide z. B. des Jobcenters kein Widerspruch erhoben. Jahre später stellt sich dann die Frage der Verjährung, die grundsätzlich nach vier Jahren eintritt, § 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X, soweit keine Ausnahme vorliegt. Das Landessozialgericht (LSG) NRW befasst sich in dieser Entscheidung vom 20.03.2024 v.a. mit der Frage, ob ein fruchtloser Pfändungsversuch den Ausnahmetatbestand nach § 52 SGB X erfüllt und verneint dies. Diese Frage sei in der Rechtsprechung noch nicht geklärt. Das Gericht lässt daher die Revision zum Bundessozialgericht zu. Insgesamt verdeutlicht die Entscheidung die Chancen, aber auch die Tücken des Verjährungsrechts, wobei hier einzelne wichtige Fragen offengelassen werden, z. B. die, ob ein Antrag auf Erlass als Anerkenntnis zu werten wäre, was zu einem Neubeginn der Verjährung führen würde.

Wesentlicher Sachverhalt:
Das Jobcenter verlangt mit Schreiben vom 11.06.2021 Erstattung von Grundsicherungsleistungen aus den Jahren 2007/2008 in Höhe von insgesamt rund 11.400 Euro. Die Erstattung und Rückforderung hatte das Jobcenter mit Bescheiden aus dem Jahr 2009 festgesetzt. In der Folge unternahm das Hauptzollamt E. einen vergeblichen Pfändungsversuch, dokumentiert in einer Niederschrift der fruchtlosen Vollstreckung vom 09.02.2010. Nach Meinung des Jobcenters sei dadurch Hemmung der
Verjährung nach § 52 Abs. 1 SGB X eingetreten und es greife die dreißigjährige Verjährungsfrist des § 52 Abs. 2 SGB X. Die nunmehr anwaltlich vertretene Klägerin erhebt die Einrede der Verjährung. Sie habe keinen entsprechenden sogenannten Durchsetzungsbescheid erhalten.

Aus den Entscheidungsgründen des LSG (teilweise verkürzte wörtliche Zitate):
Die Erstattungsforderungen des Jobcenters sind nach § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X verjährt (Rn. 44).
Nach § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Die zu erstattende Leistung ist gemäß § 50 Abs. 2 SGB X durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Die Festsetzung soll, sofern die Leistung auf Grund eines Verwaltungsakts erbracht worden ist, mit der Aufhebung des Verwaltungsakts verbunden werden. Der Erstattungsanspruch verjährt nach § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt, mit dem die zu erstattende Leistung festgesetzt wurde, unanfechtbar geworden ist (Rn. 44, 45). Das wäre mit Ablauf des Jahres 2013 der Fall. Allerdings ist die Verjährungsfrist aufgrund des fruchtlosen Pfändungsversuchs am 09.02.2010, der zu einem Neubeginn der Verjährung nach § 212 Abs. 1 Nr. 2 BGB geführt hat, erst am 10.02.2014 abgelaufen (Rn. 48).
Darüber hinaus ist keine Hemmung der Verjährung im Sinne der §§ 203 ff. BGB durch die erfolgten Mahnungen bzw. Zahlungserinnerungen eingetreten.
Gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB sind Mahnungen allein nicht ausreichend, vielmehr bedarf es insofern der Zustellung eines Mahnbescheides. Verhandlungen im Sinne des
§ 203 BGB  haben zwischen den Beteiligten ebenfalls nicht stattgefunden (Rn. 49).

Die nach Ablauf der Verjährungsfrist am 10.02.2014 erfolgten Vollstreckungsankündigungen vom 23.06.2014 haben aufgrund der bereits eingetretenen Verjährung keinen weiteren Einfluss auf die Verjährungsfrist, so dass offenbleiben kann, ob diese alleine ohne Durchführung eines Pfändungsversuchs bereits zu einem Neubeginn der Verjährung führen könnten. Aus den gleichen Gründen kann offenbleiben, ob in dem Antrag der Klägerin vom 04.11.2014 auf Erlass der Forderungen ein Anerkenntnis gesehen werden könnte, welches nach § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu einem Neubeginn der Verjährung geführt hätte (Rn. 50 mit Hinweis auf das LSG SH – L 6 AS 44/21).

Abweichend von § 50 Abs. 4 SGB X gilt vorliegend keine dreißigjährige Verjährungsfrist nach § 52 SGB X (Rn. 52). Ein weiterer Verwaltungsakt zur Durchsetzung i. S. d. § 52 Abs. 1 SGB X, der dann nach § 52 Abs. 2 SGB X den Übergang in eine dreißigjährige Verjährungsfrist bewirken würde, liegt nicht vor (Rn. 54). Weder die Niederschrift über die fruchtlose Pfändung noch die fruchtlose Pfändung als solche stellen einen Durchsetzungsverwaltungsakt im Sinne des § 52 Abs. 1 SGB X dar (ausführlich dazu in Rn. 55 – 64).

LSG NRW, Urteil vom 20.03.2024 – L 12 AS 400/23 (hier als rechtskräftig gekennzeichnet)

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