Sozialleistungen, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind, können nicht pauschal nur auf der Grundlage der Vermutung abgesenkt werden, dass Bedarfe bereits anderweitig gedeckt sind und Leistungen daher nicht zur Existenzsicherung benötigt werden, ohne dass dies für die konkreten Verhältnisse hinreichend tragfähig belegt wäre. (Aus Leitsatz 1)
Der Gesetzgeber kann den Bezug existenzsichernder Leistungen grundsätzlich an die Erfüllung der Obliegenheit knüpfen, tatsächlich eröffnete, hierfür geeignete, erforderliche und zumutbare Möglichkeiten zu ergreifen, die Bedürftigkeit unmittelbar zu vermeiden oder zu vermindern. (Aus Leitsatz 2)

Die Entscheidung betrifft alleinstehende Erwachsene, die in sogenannten Sammelunterkünften wohnen und sich seit mindestens 18 Monaten rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten.
Ihnen hat der Gesetzgeber ab dem 1. September 2019 einen um 10 % geringeren Bedarf an existenzsichernden Leistungen zugeschrieben, indem nicht mehr die Regelbedarfsstufe 1, sondern die in § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG neu geschaffene „Sonderbedarfsstufe“ der Regelbedarfsstufe 2 zugrunde gelegt wird.

Dies ist laut dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, Artikel 1 Absatz 1 GG, unvereinbar. Denn es ist nicht erkennbar, dass in den Sammelunterkünften regelmäßig tatsächlich Einsparungen durch gemeinsames Wirtschaften erzielt werden oder werden können, die eine Absenkung der Leistungen um
10 % tragen würden.
Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.11.2022
BVerfG.Beschluss vom 19.10.2022 – 1 BvL 3/21